Bedeutsame Wandmalereien
Schummriges Zwielicht empfängt den Besucher der Kirche St. Martin beim Eintreten. Haben sich die Augen einmal an die Lichtverhältnisse gewöhnt, fallen die drei vollständig bemalten Kirchenwände auf.
Die Wandmalereien von St. Martin sind in einem schlechten Zustand. Aus der Zeit zwischen 1300 und 1600 stammend, sind sie heute verblichen, übermalt und zum Teil zerstört. Dabei sind sie von grosser Bedeutung. Sie sind das früheste und vollständigste Beispiel in der Innerschweiz für die Ausmalung eines mittelalterlichen Kirchenraums.
Die Wandmalereien erfüllen weniger den Sinn einer Armenbibel, die dem leseunkundigen Kirchengänger die Heilsgeschichte vor Augen führt. Ihr Thema sind vielmehr die vier letzten Dinge, wie sie in der Vorstellung von Gläubigen vorkommen: der Tod als Schnitter, das Gericht in der Figur des Heiligen Michael mit der Seelenwaage, der Himmel mit Christus und Maria sowie die Hölle, in der die Verdammten Qualen erleiden.
Drei Wandmalereien sind besonders imposant und stechen hervor:
- Der Heilige Christophorus, überlebensgross an der Nordwand dargestellt, verkörpert Hoffnung und Schutz vor dem Höllenschicksal. Sein Anblick sollte den Betrachter vor dem jähen, unvorbereiteten Tod bewahren – ein Tod, den die Menschen im Mittelalter im Gegensatz zum «wohlvorbereiteten Tod» fürchteten.
- An der Südwand begegnen drei lebende Edelleute drei Toten. Ein klassisches «Memento mori»: Die Toten erinnern die Edelleute an die Vergänglichkeit des Lebens und mahnen, ihren ausschweifenden Lebenswandel zu überdenken. Die Legende der drei Lebenden und drei Toten breitete sich ab 1250 von Frankreich über Westeuropa aus. Die Darstellung auf Kirchbühl gehört zu den frühesten monumentalen Darstellungen dieses Themas ausserhalb Frankreichs.
Stilistisch gehören die Wandmalereien der sogenannten Manesse-Zeit der berühmten Heidelberger Liederhandschrift an. Vergleichbar mit den Wandmalereien sind die leicht jüngeren Wandmalereien in Büron LU, die trotz besser erhaltener Farbigkeit nur ein Bruchstück darstellen, sowie das Fragment einer Christophorus-Darstellung im Kreuzgang des Luzerner Franziskaner-Klosters.
Quelle: Bergmann Uta. Kirchbühl bei Sempach. Schweizerischer Kunstführer, 2021.